Das Projekt „Herausforderung Cloud und Crowd“
Dokumentation der ersten Konferenz des Projektes „Herausforderung Cloud und Crowd – Neue Organisationskonzepte für Dienstleistungen nachhaltig gestalten“ vom 21. März 2017 in München
Autorin: Dr. Jutta Witte
Von der Cloud gehen weitreichende Veränderungsdynamiken für die deutsche Wirtschaft aus. Diese zu analysieren und darauf aufbauend neue Strategien zu entwickeln ist eine Mammutaufgabe für Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Forschung. Wer in der digitalen Ökonomie bestehen und sich zukunftsfähig aufstellen will, muss Cloud verstehen – so die Leitidee der ersten Konferenz des BMBF-Verbundprojektes „Herausforderung Cloud und Crowd – Neue Organisationskonzepte für Dienstleistungen nachhaltig gestalten“, die am 21. März 2017 in München stattfand.
Denn alle wichtigen Zukunftstrends der Digitalisierung von Industrie 4.0 über Machine Learning und Internet of Things bis hin zu Plattformstrategien, Big Data und Crowdsourcing bauen auf Cloud-Konzepten auf. Die Cloud ist dabei mehr als nur ein technisches Hosting- oder Service-Modell. Vielmehr erweist sie sich als neues Paradigma für die Entwicklung von Geschäftsmodellen, Wertschöpfungsstrategien und Organisationskonzepten von Arbeit. Damit bildet sie den Kern des gegenwärtigen digitalen Umbruchs in Wirtschaft und Arbeit.
Die Durchsetzung des neuen Paradigmas der Cloud ist jedoch mitnichten nur eine Frage der Technik. Sie geht uns alle an, weil sie unser aller Arbeits- und Lebensbedingungen grundlegend verändern wird. Die entscheidende Frage für die Unternehmen und die Gesellschaft ist nun: Was müssen wir mit Blick auf die Herausforderungen der Digitalisierung unternehmen, um in Zukunft weiter erfolgreich zu sein? Das Projekt „Herausforderung Cloud und Crowd“ analysiert diese Entwicklung und nimmt die Herausforderungen für Unternehmen und Gewerkschaften, aber vor allem auch die Menschen und die Gesellschaft als Ganzes in den Blick.
Im Rahmen der Konferenz hat der Verbund seine neuen Forschungsergebnisse erstmalig vorgestellt, einen Blick in die Unternehmenspraxis ermöglicht und gemeinsam mit rund 200 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik , Wissenschaft und Medien über zentrale Zukunftsfragen und Weichenstellungen diskutiert sowie Handlungsfelder identifiziert für eine nachhaltige Gestaltung von Arbeit.
Wir haben hier erste Eindrücke und Ergebnisse der Konferenz sowie weiterführende Informationen für Sie zusammengestellt.
Begrüßung
Dr. Otto Fritz Bode, Referatsleiter, Bundesministerium für Bildung und Forschung
Die richtigen Forschungsfragen zu identifizieren ist für Otto Fritz Bode essentiell, wenn es um die Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft in der digitalen Welt geht. Die Zukunft von Wertschöpfung könne nur in einer Gesamtschau auf die Veränderungen in Produktion, Dienstleistungen und Arbeit beantwortet werden. Die Zusammenhänge zwischen den Entwicklungen in allen drei Bereichen brauchen eine vertiefte Analyse. Diesen ganzheitlichen Ansatz in der Forschung zu fördern, ist für ihn auch zielführend, um eine nachhaltige Gestaltung der mit dem Aufstieg der Cloud entstehenden digitalen Ökonomie auf den Weg zu bringen und zu fördern. Das interdisziplinäre Projekt „Herausforderung Cloud und Crowd“ mit seiner Verschränkung von Produktion, Dienstleistungen und Arbeit hält er deswegen für beispielgebend.
Cloud, Internet of Things und der disruptive Wandel der Wirtschaft
Keynote: Neue Geschäftsstrategien im digitalen Umbruch
Eva Zauke, Development Executive Business Unit IoT & Digital Supply Chain, SAP SE
Die klare Fokussierung auf den Kunden und eine effiziente Nutzung der Ressourcen treiben nach Beobachtung von Eva Zauke im digitalen Zeitalter neue Geschäftsmodelle voran. Die Bandbreite reicht von schrittweisen Veränderungen bis hin zu disruptiven Strategien. „Viele Unternehmen stellen sich die Frage nach ihrer Identität und erfinden sich in der digitalen Welt komplett neu“, sagt die IoT-Expertin. Dabei müssen sie definieren, was zu ihrem Kerngeschäft gehört, und gleichzeitig ausgelagerte Kompetenzen richtig orchestrieren. Die SAP versteht sich als „Enabler“ dieses Wandels. Für erfolgsentscheidend hält Zauke ein vertieftes Verständnis des eigenen Geschäftes, eine offene und innovationsfreundliche Kultur mit Beschäftigten, die aus Fehlern lernen dürfen, und strategische Partnerschaften, um in Ökosystemen wachsen zu können.
Keynote: Von der Vision zur Wirklichkeit – Plattformen und Lösungen für das Internet der Dinge
Dr. Rainer Kallenbach, CEO der Bosch Software Innovations GmbH
Welche Bedeutung die Cloud mittlerweile auch für klassische Industrieunternehmen hat, zeigt das Beispiel Bosch. Das Internet der Dinge führt zu einem fundamentalen Wandel in allen Geschäftsfeldern. Für Rainer Kallenbach liegt sein disruptiver Charakter in der Weiterentwicklung physischer Produkte und Dienstleistungen durch ihre Erweiterung mit digitalen Applikationen. Nicht nur technische Innovationen bringen es voran, sondern auch offene, gut vernetzte Ökosysteme und strategische Allianzen auf Plattformen. Neue Formen der Zusammenarbeit, ein neues Führungsleitbild sowie eine neue Unternehmenskultur sind weitere Voraussetzungen für Innovationen in der Digitalökonomie. „Die Frage in der digitalen Welt ist nicht mehr wer ist der Größte oder der Stärkste, sondern wer ist der Schnellste und Agilste“, sagt der studierte Kybernetiker.
Forschungsergebnisse: Cloud und der disruptive Wandel der Wirtschaft
Prof. Dr. Andreas Boes, außerplanmäßiger Professor an der TU Darmstadt und Vorstand am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München
Das Forschungsteam von Andreas Boes zeigt, dass die Cloud sich gegenwärtig von einem reinen Hosting-Modell zur neuen Leitidee für einen offenen Raum entwickelt, in dem sich die Grenzen zwischen den Informationssystemen auflösen. Dieser Raum führt Milliarden internetfähiger Geräte mit menschlichem Handeln zusammen. Hier entfaltet sich die kollektive Intelligenz von Menschen, die aus Daten Informationen machen. „Zugespitzt gilt: Die Welt findet zunehmend in der Cloud statt und wird über diese gestaltet“, erklärt Boes.
Von dieser neuen Leitidee gehen tiefgreifende Veränderungen von Geschäftsmodellen, Wertschöpfungssystemen und der Organisation von Arbeit aus. Sie ebnen den Weg in eine Plattformökonomie, die den Consumer-Bereich oder die IT-Industrie längst prägt und sich in traditionellen Industriebranchen wie dem Automobil- und Maschinenbau oder der Elektroindustrie zunehmend durchsetzt. Unternehmen nutzen das neue Potenzial der Daten für die Entwicklung von Geschäftsmodellen, die auf Eins-zu-Eins-Beziehungen zum Kunden und die stetige Produktoptimierung mit dem „Consumer“ bauen. Fluide Wertschöpfungssysteme lösen die bislang starren Wertschöpfungsketten ab. Es entstehen neue Konzepte für die agile Organisation von Arbeit auf Plattformen. Sie ermöglichen Unternehmen, ganz unterschiedliche Gruppen von Erwerbstätigen situativ zu einer „Workforce“ zusammen zu führen.
Wirtschaft und Gesellschaft stehen damit vor einer Vielzahl grundlegender Fragen. Wie kann man die Stärken des deutschen Produktionsmodells in die Cloud überführen? Wie gelingt es Unternehmen, disruptive Innovationen voran zu bringen ohne ihr Altgeschäft zu kannibalisieren? Wo bleiben die Menschen mit ihrer Privatsphäre angesichts der neuen datengetriebenen Transparenz in allen Lebensbereichen? Und was geschieht mit dem Status des Arbeitnehmers, der noch immer eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass Menschen in die Gesellschaft integriert werden? „Die zentrale Herausforderung ist es“, betont Andreas Boes, „dass wir die Tragweite des digitalen Umbruchs erfassen und diesen im Interesse der Menschen gestalten“.
Umbruch Konkret: Werkstätten zu Cloud und Crowd in der Praxis
Ein starker interdisziplinärer Verbund trägt das Projekt „Herausforderung Cloud und Crowd“ und analysiert die Entwicklung von Cloud-Konzepten aus verschiedenen Perspektiven. Denn gelingende Wertschöpfungssysteme entstehen im Zusammenspiel von Unternehmen, Plattformen und Menschen in der Cloud. Die einzelnen Teilprojekte erzeugen daher jeweils eigene Blickwinkel auf den gemeinsamen Forschungsgegenstand. So entsteht in der Zusammenarbeit der Verbundpartner ein ganzheitlicher Blick auf die Cloud. Nach einem Jahr gemeinsamer Forschung haben die sechs Partner ihre ersten Ergebnisse vorgestellt und in interaktiven Werkstätten mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz reflektiert und weiter entwickelt. Im Fokus stand dabei die Organisation von Arbeit in der digitalen Ökonomie.
Überblick über die Werkstätten
Barbara Langes, Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München
- Was bedeutet Cloud für Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle, Wertschöpfungssysteme und die Organisation von Arbeit?
- Was sind die zentralen Gestaltungsfelder in diesem Neuerfindungsprozess?
- Wie gelingt es, diesen Wandel nachhaltig zu gestalten?
Dr. Christoph Peters, Universität Kassel
- Welche Dienstleistungen werden von welcher Art und von welchem Umfang von Crowdworking-Plattformen erbracht?
- Welche Kontroll- und Steuerungsmechanismen kommen auf Crowdworking-Plattformen zum Einsatz?
- Welche Voraussetzungen sind notwendig, um auch komplexe Arbeit über Crowdworking-Plattformen abwickeln zu können?
Prof. Dr. Hans Pongratz, Ludwig-Maximilians-Universität München und Karl-Heinz Brandl, ver.di
- Was ist anders, was ist neu bei Online-Arbeit, die über Internet-Plattformen vermittelt wird?
- Wieviel Kontrolle haben Plattformen über den Arbeitsprozess, wieviel „unternehmerische Unabhängigkeit“ bleibt den Online-Arbeitenden?
- Welche Gestaltungsmöglichkeiten für Plattformarbeit erscheinen aus Sicht der Crowdsourcees notwendig und sinnvoll?
Daniel Knapp, andrena objects ag
- Was fehlt dem Standort Deutschland zur Wettbewerbsfähigkeit im Cloud Computing?
- Auf welche – neuen/alten – Developer Skills kommt es an?
- Was bedeuten die neuen Skillsets – Developer,Scrum Master, Product Owner – für die Personalentwicklung? Was bedeutet „agiles Führen“ für die Personalentwicklung?
Vanessa Barth und Robert Fuß, IG Metall
- Welche Anwendungsgebiete gibt es entlang der Wertschöpfungskette?
- Was sind die Chancen und Risiken plattformbasierter Arbeit?
- Welche Handlungsmöglichkeiten und welchen Regulierungsbedarf gibt es?
Sarah Bormann, ver.di
- Wie verändert sich die Arbeit in Call- und Servicecentern im Zuge der Digitalisierung?
- Wie können Interessenvertretungen diesen Wandel beteiligungsorientiert und proaktiv gestalten?
- Wie könnte eine Highroad-Strategie aussehen, die einen qualitativ hochwertigen Kundenservice mit Kriterien Guter Arbeit verbindet?
Herausforderung Gestaltung: Cloud, Crowd und die Zukunft von Arbeit
Podiumsdiskussion: Digitaler Umbruch – Herausforderungen für die Arbeitswelt der Zukunft
Vanessa Barth, Bereichsleiterin Zielgruppen und Gleichstellung, IG Metall Vorstand
Prof. Dr. Andreas Boes, außerplanmäßiger Professor an der TU Darmstadt und Vorstand am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München
Karl-Heinz Brandl, Bereichsleiter Innovation und Gute Arbeit, ver.di-Bundesverwaltung
Dr. Rainer Kallenbach, CEO, Bosch Software Innovation GmbH
Prof. Dr. Jan Marco Leimeister, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der Universität Kassel
Moderation: Dr. Kira Marrs, Wissenschaftlerin am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München
Mit der Durchsetzung der Leitidee der Cloud entfaltet der digitale Umbruch seine disruptive Wirkung. Damit gerät das deutsche Wirtschaftsmodell unter starken Veränderungsdruck. Die Herausforderungen reichen von der disruptiven Innovation gewachsener Geschäftsmodelle über die Fähigkeit sich in fluiden Wertschöpfungssystemen zu behaupten, bis hin zur Frage nach der Zukunft des gesellschaftlichen Systems der Regulation von Arbeit. Auf allen Ebenen stellen sich neue Fragen, die grundlegend neue Strategien erfordern. Hierin waren sich die Expertinnen und Experten aus Unternehmen, Gewerkschaften und Forschung einig, die im Rahmen des Abschlusspodiums über die Herausforderungen, und zentrale Weichenstellungen für die Gestaltung der digitalen Ökonomie diskutierten.
Wie kann das deutsche Produktionsmodell unter veränderten Bedingungen seine Stärken neu finden? Wie kann man dieses Neuland sozial und wirtschaftlich nachhaltig und beteiligungsorientiert gestalten? Wie organisiert man Interessensvertretung für Menschen in der Crowd, denen man vielleicht nie begegnet? Greifen unsere rechtlichen Regularien auch in der Plattformökonomie? Wie gelingt es, die Beschäftigten adäquat zu qualifizieren, weiter zu bilden und ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln? Wie kann unsere Gesellschaft zum verantwortungsvollen Umgang mit Daten einen Grundkonsens herstellen? Und nicht zuletzt: Wie schützt man in diesen Umbruchzeiten das Gemeinwohl? Entscheidend für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums ist es jetzt, diese Entwicklung im Sinne der Menschen zu gestalten.